Autor: Thilo Wierzock

Die Grenzen der DDR

Auf Grundlage von völker- und staatsrechtlichen Normen, der eigenen Verfassung und der abgeschlossenen Verträge mit Nachbarstaaten verfolgt die DDR ihre Gebietshoheit und die eigene staatliche Souveränität konsequent und minutiös. 

Im eigenen Verständnis ist der Schutz und die Verteidigung der Territorialgrenze ein besonders wichtiger Bestandteil der sozialistischen Landesverteidigung der DDR. Die politischen Verantwortlichen in der DDR bezeichnen die Gesamtheit der Rechtsnormen zur Regulierung der Verhältnisse an der Staatsgrenze einschließlich des Verkehrs und der Kommunikation über diese sowie das darauf bergründete Tätigwerden der eingesetzten grenzsichernden Organe mit den gesellschaftlichen Kräfte als GRENZREGIME.

Die DDR-Grenzüberwachung und spätere -sicherung umfasst einen 2.752,2 km langen Grenzverlauf aufgeteilt in:

  • Grenzsicherung im Norden auf 322,9 km - Küsten-Basislinie (167 sm Länge der äußeren Grenze der Territorialgewässer bei einer Breite von 3 sm. Wobei das Territorialgewässer am 1. Januar 1984 von drei auf - die international üblichen - zwölf Seemeilen ausgedehnt wird.)
  • Grenzüberwachung im Osten auf 430,9 km – Grenze zur VR Polen
  • Grenzüberwachung im Süd-Osten auf 450,1 km – Grenze zur CSSR
  • Grenzsicherung im Westen auf 1.391,9 km – Grenze zur BRD
  • Grenzsicherung an Enklave (West-Berlin) auf 43,7 km im innerstädtischen Bereich von Schildow bis Schönefeld und 112,7 km zur Grenze des Bezirks Potsdam
Die völkerrechtliche Grundlage der Staatsgrenze der DDR beruht auf das Protokoll zum Abkommen zwischen der Regierung der UdSSR, der USA, Großbritannien und Frankreich über die Besatzungszonen in Deutschland und der Verwaltung von „Groß-Berlin“ vom 12. September 1944 (European Advisory Commission, EAC-Sitzung in London) sowie deren Ergänzungen vom 14. November 1944 (1. EAC-Ergänzung) und 26. Juli 1945 (2. EAC-Ergänzung). Wobei Deutschland innerhalb seiner Grenzen, wie sie am 31. Dezember 1937 bestehen, in vier Besatzungszonen aufgeteilt wird. Berlin wiederum wird als besonderes Gebiet - entsprechend der Bezirke von „Groß-Berlin“ gemäß des Amtsblattes der Reichshauptstadt Nr. 13, vom 27. März 1938 - von allen vier Besatzungsmächten  nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Truppen gemeinsam besetzt.

Weiter ist für die historische Bestimmung der Staatsgrenzen der DDR die Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin „Potsdamer Abkommen“ vom 2. August 1945 ausschlaggebend. Die Oberhäupter der drei Besatzungsregierungen (UdSSR, USA und Großbritannien) stimmen darin überein, dass bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens, die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee unmittelbar westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der westlichen Neiße und folgend dem Neißeverlauf bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teils Ostpreußens, der nicht unter die Verwaltung der UdSSR (heutiger "Oblast Kaliningrad") und einschließlich der früheren Freien Stadt Danzig unter der Verwaltung des polnischen Staates und somit  nicht als sowjetische Besatzungszone in Deutschland zu betrachten ist.

Der Grenzverlauf ist nicht immer eindeutig. Besonders auf den Binnengewässern gibt es immer wieder Uneinigkeiten. So z.B. auch auf der Elbe (zwischen Kilometer 472,6 bis 566,3 im Flussabschnitt zwischen Lauenburg bis Schnackenburg). Nach den ersten Festlegungen der Alliierten (Londoner Protokoll vom 12. September 1944) soll die Grenzlinie am nördlichen - also auf SBZ-Seite - Ufer verlaufen. Auf Anfrage der Bundesregierung an den britischen Frontier-Service am 2. August 1952 wird erklärt, dass "der britische Standpunkt immer der gewesen ist, dass die Demarkationslinie am Nordufer verläuft". 

Mit Übergabe der Staatsgewalt an Bonn am 25. Mai 1950 gehen die Hoheitsrechte der westlichen Besatzungsmächte in ihren Zonen an Bonn über, damit auch der in der britischen Zone gelegene Elbabschnitt mit allen Kontrollrechten auf der gesamten Strombreite. Die DDR beruft sich aber zeitgleich auf die allgemeinen völkerrechtlichen Bestimmungen, nach der die tiefste Stelle eines fließenden Gewässers – die sogenannten Grube – den Grenzverlauf bildet, wenn es keine anderen Vereinbarungen zwischen zwei Staaten gibt. Die Grube liegt bei der Elbe etwa in der Flussmitte. Die BRD argumentiert, daß es hierbei nicht um eine völkerrechtliche Frage gehe, sondern allein um die Interpretation des Willens der Alliierten. Die DDR wiederum erwidert, daß mit dem Tage der Gründung der BRD und DDR der Wille der Alliierten nicht mehr, sondern das Völkerrecht als höherrangig geltendes Recht, entscheidend ist. Beide Seiten provozieren in diesem Streit immer wiederkehrend eine Eskalation; besonders am 18. Oktober 1966 ("Kugelbake-Konflikt") und am 29. Juli 1977 durch DDR-seitig unabgestimmte Setzung von Grenzmarkierungstonnen auf Flußmitte, welche kurz darauf wieder entfernt werden mussten.

Die DDR ermüdet nicht, immer wieder im die territorialen Integrität und die staatlichen Souveränität als  Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Völker auszudrücken. Die Artikel 1 und 2 der UN-Charta, insbesondere die darin enthaltenen Grundsätze der Souveränität, der friedlichen Regelung von Streitfällen und des Verbots der Gewaltanwendung oder -androhung deklariert völkerrechtlich bindend, dass alle effektiv existierende Staaten unabhängig von der Gesellschaftsform rechtlich gleich sind, dass sie alle sich aus ihrer Souveränität ergebenden Rechte genießen und dass ihre territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit von allen anderen Staaten und Personen zu achten sind. Daher hätte keine Regierung das Recht, etwa auf Grund der Nichtanerkennung eines Staates selbst zu entscheiden, ob diese Grundsätze in ihren Beziehungen zu ihm anwenden will oder nicht.

Die im Zusatzprotokoll zu Artikel 7 des Grundlagenvertrags (21. Dezember 1972)  zwischen der BRD und der DDR vereinbarte Bildung der gemeinsamen Arbeitsgruppe Grenzkommission beginnt 1973 ihre Vermessungstätigkeit (mittels Geodäten der örtlichen Katasterämter) mit Grenzmarkierungen an der Staatsgrenze bei Lübeck. In den folgenden Monaten wird der Grenzverlauf von der Lübecker Bucht bis nach Hof (1392,9 km) exakt vermessen, markiert (Grenzsteine bzw. hölzerne Pfähle) und in einer zeichnerischen Grenzdokumentation (Maßstab 1:5.000 bzw. Übersichtskarten 1:25.000) festgehalten. Am 8. April 1976 endet mit Unterzeichnung der letzten Grenzkarte in München die dreijährige Arbeit der Arbeitsgruppe. Die Forderung nach regelmäßiger Kontrolle der Grenzmarkierungen (alle 15 Jahre) führt Mitte/Ende der 1980er Jahre zu ersten gemeinsamen Kontrollbegehungen im Grenzverlauf. Bei diesen Routinekontrollen sollen verschobene oder verschwundene Markierungen korrigiert bzw. wiederhergestellt werden.

Auch heute noch stellt sich immer wieder die Fragen zu Begründung der besonderen Sicherung der ehemaligen Demarkationslinie zwischen den westlichen und der östlichen Besatzungsmächte in Deutschland (1945-1949), der späteren Staatsgrenze zwischen der BRD und der DDR (1949-1990) bzw. dem geteilten Berlin (1961-1990) Seitens der DDR. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland und im besetzten Teilen von Europa wird das europäische Territorium sehr schnell in zwei politische und militärische Machtsysteme getrennt. Besonders die Grenzen der sozialistischen DDR und Tschechoslowakei unmittelbar zur kapitalistischen BRD und der Westsektoren Berlins innerhalb der DDR werden zur Trennlinie zwischen diesen beiden Systemen. In der Zeit des „Kalten Krieges" wächst zwischen den militärischen Bündnissen „NATO“ und „Warschauer Pakt“ der „Eisernen Vorhang“. In dieser militärstrategischen Bedeutung definierte sich die Aufgaben der GT im System der militärischen Bündnisverpflichtung des Warscheuer Pakts und Landesverteidigung der DDR.

Die Aussichtlosigkeit und Sinnlosigkeit eines Kernwaffenkrieges lässt die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen Kriegsverlaufs – oder zumindest eines konventionellen Kriegsbeginns – immer weiter wachsen. Beidseitig der Trennlinie zwischen Ost und West wird aufgerüstet; der direkte gemeinsame Grenzverlauf ist Verteidigungs- und Angriffslinie zugleich. Auf Seite der BRD sind 23 Heeresdivisionen der NATO und auf dem DDR-Territorium 18 GSSD- sowie 6 NVA-Divisionen stationiert.

Die Sowjetunion erinnerte sich bleiern an den bitteren Erfahrungen zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges (1941-1945). Der eigene grenznahe Raum ist zu Beginn des Überfalls der Deutschen Wehrmacht nicht ausgebaut, und die sowjetischen Grenztruppen sind zur Führung von Gefechtshandlungen nicht hinreichend ausgebildet. Auch die folgenden Verteidigungslinien der sowjetischen Landstreitkräfte werden durch die Deutsche Wehrmacht zu Beginn dieses Angriffs überrannt. Auf Grundlage dieser historischen Erfahrung der Sowjetunion sollen die GT an der Trennlinie zwischen Ost und West inmitten Europas zur Anfangsperiode eines von einem potenziellen Aggressor mit konventionellen Waffen überraschend ausgelösten Zwischenfalls, einer Provokation, einer Grenzverletzung, eines Grenzkonflikts oder eines Krieges die unmittelbare Abwehr und Verteidigung im Rahmen des Bündnisfalls übernehmen. Im Zusammenwirken mit der NVA und der GSSD solle ggf. die Deckungs- und Verteidigungsgruppierungen des Warschauer Pakts anschließend formiert und der militärische Gegenschlag ausgeübt werden. 

Die GT der DDR sollen hiernach:

  • die Unverletzlichkeit der Staatsgrenze zu jeder Zeit gewährleisten,
  • Grenzprovokationen nicht zulassen,
  • die im Grenzgebiet der DDR zur BRD und zu Berlin-West festgelegten Ordnungen aufrecht erhalten,
  • das Leben und das Eigentum der Bevölkerung sowie das Volkseigentum in den Grenzgebieten schützen,
  • den grenzüberschreitenden Verkehr in Hinsicht der erforderlichen Ruhe und Sicherheit sicherstellen.

Hierbei hat die GT Aktivitäten der militärischen und polizeilichen Kräfte der BRD und der NATO ständig aufzuklären, die Sicherheit und Ordnung im eigenen Grenzgebiet und des Waren- / Personenverkehrs an den Grenzübergangsstellen zu gewährleisten sowie jegliche Grenzprovokationen, Grenzverletzungen bzw. –durchbrüche im eigenen Grenzterritorium abzuwehren.

An dieser Stelle sei nicht verschwiegen und zutiefst zu bedauern, dass - nach Angaben der „Arbeitsgemeinschaft 13. August e.V.“ - zwischen den vierzig Jahren des DDR-Existenz (1949 bis 1989) an der Berliner Grenze 202 Personen, an der DDR-Westgrenze 331 Personen, bei Ostseefluchten 181 und an den Westgrenzen von sozialistischen Drittländern 51 Personen ums Leben gekommen sind. Die Todesfälle sind durch Minen- und Selbstschussanlagen, gezielte Schüsse, Kräfteverlust und Herzversagen verursacht worden. Einige wenige Flüchtlinge begehen in Angesicht ihres Scheiterns aber auch Selbstmord. Die o.g. AG-Todesfallangaben sind bisher wissenschaftlich nicht abschließend aufgearbeitet und bestätigt. So sollten diese Angaben als Annäherung zur traurigen Geschichte der Opfer der innerdeutschen Grenze angesehen werden.

Ebenfalls sollte nicht verschwiegen sein, dass es zur DDR-Zeit - offiziell zu Helden stilisierten GT-Angehörigen (z.B. Uffz. Egon Schultz) - 27 uniformierten  Grenzopfer auf der DDR-Seite gab. 


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Quellen:

  • "Grenzsicherung und Grenzpolizei der DDR", Militärhistorisches Institut der DDR, Potsdam 1974 
  • "Wo sie gefallen sind, stehen wir", Politische Verwaltung der Grenztruppen der DDR, 1983
  • "Handbuch für den Grenzdienst", Militärverlag der DDR, Berlin 1987
  • "Wörterbuch der Staatssicherheit" Siegfried Suckut, Ch. Links Verlag, Berlin 2001,
  • "Grenzbrigade Küste" Ralph-Ingo Unger, Militärverlag, Berlin 2011