Autor: Thilo Wierzock

Sichernde Kräfte

"...Die Grenzsicherung ist die Gesamtheit der Handlungen, der Sicherstellungs-, Sperr- und Ordnungsmaßnahmen, die durch die Grenztruppen der DDR selbstständig und im Zusammenwirkung mit den anderen Schutz- und Sicherheitsorganen sowie in Zusammenarbeit mit den örtlichen Partei- und Staatsorganen, gesellschaftlichen Organisationen, Betrieben, Genossenschaften, Einrichtungen und der Bevölkerung im Grenzgebiet an der Staatsgrenze der DDR zur BRD, zu Berlin (West) und an der Seegrenzen unter allen Bedingungen der Lage durchgeführt werden..." 

Quelle: DV 718/0/008 der GT)  


Die GT sind sicherlich ein wichtiger Teil des gesamten Grenzregimes der DDR. Das gesamte Regimesystem ist aber ein dichter Verbund verschiedener Institutionen der Staatsgewalt. In der DDR ist das Politbüro unter der Leitung des Generalsekretärs der SED das zentrale Führungsgremium für alle politischen Grundsatzentscheidungen. Zur Stärkung der DDR-Sicherheitspolitik bildet der 1. Sekretär des ZK der SED Walter Ulbricht 1960 mit dem Nationalen Verteidigungsrat  (NVR) der DDR (am 10. Februar 1960 beschließt die Volkskammer das Gesetz zur Bildung des Nationalen Verteidigungsrat als „oberstes staatliches Organ zu Fragen der Landesverteidigung und Mobilmachungsplanung“) ein staatliches Führungsorgan. Der NVR ist der Volkskammer und dem Staatsrat  der DDR untergeordnet und rechenschaftspflichtig. Der Vorsitzende  des NRV ist nach Wahl durch die Volkskammer der Erste Sekretär des ZK der SED.  Die Mitglieder des NVR werden vom Staatsrat berufen (Verfassung der DDR, Art. 73, Abs. 2). Seinen Ursprung findet dieses Gremium aber schon aus den Entwicklungen nach dem Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 als „Sicherheitskommission im Politbüro der SED“. Alle bewaffneten Organe der DDR dienen der militärpolitischen Sicherheitsarchitektur des NVR und somit unmittelbar der SED. An erster Stelle untersteht dabei das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) und die Nationale Volksarmee (NVA) sowie folgend die Grenztruppen (GT), das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das Ministerium des Innern (MdI), die Deutsche Volkspolizei, (DVP) die Kampfgruppen der Arbeiterklasse und die Zivilverteidigung (ZV) dieser Struktur. Eingebunden in einen Verbund von „zusammenwirkenden Kräften“ ist die Deutsche Grenzpolizei (DGP) und später die GT von Anfang an ein äußerst wichtiger Pfeiler im System der territorialen Landesverteidigung. Zweimal pro Monat hat ein GT-Kompaniechef in Gemeinden, die im Schutzstreifen lagen, Sicherheitsberatungen mit dem ABV, dem SED-Sekretär der Ortsparteiorganisation, dem Bürgermeister und dem zuständigen MFS-Beauftragten durchzuführen. Zur Übersicht aller „zusammenwirkenden Kräften“ soll folgende kleine Aufstellung hilfreich sein. Vorangestellt wird jedoch erst einmal eine kurze Beschreibung der machthabenden Partei der DDR:


Sozialistische Einheitspartei Deutschland

Die politisch-ideologische Absicherung zum Schutz der eigenen Staatsgrenze garantiert die führende Rolle der marxistisch-leninistischen Partei in der DDR, der SED im Verbund mit den Organisationen der FDJ innerhalb der Grenzsicherungskräften. Mit Hilfe der "Parteikontrollkommissionen" (PKK) - eine Art Parteipolizei - überwacht die Partei die eingesetzten Kräfte ("zusammenwirkende Kräfte"  aus Grenzpolizei / Volkspolizei / Zoll aber auch den MfS). Bei Verdacht auf politische Unzuverlässigkeit müssen die Betroffenen mit Befragungen und ggf. mit Parteistrafen rechnen. Dem Politbüro des ZK der SED ist für die Grenzfragen von 1954 bis 1960 die Sicherheitskommission des ZK der SED und von 1960 bis 1989 die Abteilung Sicherheitsfragen des ZK der SED unterstellt.

Von Anfang an – seit 1946 – achteten die Genossen der SED gemeinsam mit den sowjetischen Beratern darauf, nur solche Personen zum Dienst bei der GP zu zulassen, welche sich bereits auf Orts-, Kreis- und Landesebene im allgemeinen Polizeidienst zuverlässig bewährt haben. In der Monographie des Mj. Dr. W. Hanisch "Grenzsicherung und Grenzpolizei der DDR" (Potsdam 1974) heißt es hierzu: "...Die Bildung eines selbstständigen SED-Landesverbandes für die GP - gleichzeitig entstand ein FDJ-Landesverband - und die Schaffung der Polit-Kultur-Organe leiteten eine höhere Stufe der Führung der GP durch die SED ein. Mit den neugeschaffenen Organen wurden auf Polizeibedingungen angewandte Grundprinzipien des Aufbaus bewaffnetet Kräfte der Arbeiter-und-Bauern-Macht verwirklicht, die sich in der Sowjetunion bewährt hatten und die auch für die bewaffneten Organe der volksdemokratischen Länder typisch waren. Die Arbeit der neugeschaffenen Organe war darauf gerichtet, die führende Rolle der Partei in allen Dienststellen konsequent durchzusetzen, die Einheit von politischer und fachlicher Führung und Ausbildung der GP herzustellen und die politische Arbeit generell zu verstärken...".

Die Partei erhält Informationen zur Grenzsicherung und besonderer Vorkommnisse immer aus mindestens zwei Melde- bzw. Informationslinien. Neben der direkten Meldelinie über  das  MfNV (Posten / Zugführer / Führungspunkt der Grenzkompanie / Operativer Diensthabender im Grenzregiment / Grenzkommando / Kommando der GT) erhält die SED über eine unabhängige Meldestrecke des MfS (Führungspunkt der Grenzkompanie / Operativer Mitarbeiter / Unterabteilung I / Abteilung I / Leiter der HA I) so mindesten zwei Meldungen.

Aber auch innerhalb der DGP bzw. der GT ist die DDR-Führung intensiv bemüht, den ideologischen Einfluss der SED und der FDJ auf die Truppenangehörigen zu integrieren und zu erweitern. Eine wesentliches Potenzial zur politischen Ausrichtung und Disziplinierung der Grenzer ist die Werbung für die Mitgliedschaft in der SED. 1954 waren z.B. 81 Prozent aller Offiziere, 40,5 Prozent der Unteroffiziere und fast 10 Prozent aller Soldaten der DGP Mitglieder oder Kandidaten der SED. Das entspricht einen Durchschnitt von 25,7 Prozent. 1960 waren schon 32,8 Prozent aller Angehörigen Mitglieder bzw. Kandidaten der SED.

Mit den Beschlüssen des Politbüros des ZK der SED vom 2. November 1957 und vom 14. Januar 1958 verstärkt die SED ihren Führungsanspruch auch in der DGP. In Anlehnung eines voran gelaufenen Beschlusses des ZK der KPdSU über die parteipolitische Arbeit in der Sowjetarmee- und -flotte fordert das Politbüro, jeden Versuch zur Herabminderung der führenden Rolle der Partei in den Streitkräften der DDR energisch zu unterbinden. Auf Parteiversammlungen in den Einheiten und auf Aktivtagungen der Verbände wird klargestellt, dass die marxistisch-leninistische Partei Führer und Erzieher aller Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten ist und dass für alle Genossen, unabhängig vom Dienstgrad, die gleiche Parteidisziplin gilt. 

Zur 1. Tagung der IV. Delegiertenkonferenz der Parteiorganisation der SED in der DGP wurde im Juni 1958 dazu hervorgehoben:

  • die Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus,
  • die Aufgabe der Staatsmacht beim sozialistischen Aufbau in der DDR,
  • die Rolle der BRD und Westberlins bei der imperialistischen Aggressionsvorbereitung und
  • den proletarischen Internationalismus, die führende Rolle der Sowjetunion im Kampf um Frieden und Sozialismus und die Bedeutung der engen Waffenbrüderschaft mit der Sowjetarmee und den anderen sozialistischen Bruderarmeen.
Anfänglich wird die Umsetzung dieses Beschlusses sogar von der Leitung des Ministeriums des Innern (hier zur 2. Tagung der IV. Delegiertenkonferenz der SED in der DGP im März 1959) - wegen seiner konkreten Bezugnahme auf die NVA - nicht auf die eigenen Einheiten verstanden. Die prinzipielle Bedeutung dieses Beschlusses wurde dann jedoch unverzüglich durch die Parteiverantwortlichen vehement durchgesetzt. Die Durchsetzung wird durch zwei Hauptebenen sichergestellt. Einmal durch die zentralen Beschlüsse der Partei und die ihnen entsprechenden zentralen staatlichen Weisungen, Direktiven und Befehle. Zum anderen durch die Tätigkeit der Mitglieder und Kandidaten der Partei in den bewaffneten Organen selbst - und zwar sowohl über die Einzelleitung der Kommandeure als auch durch die Arbeit der Politorgane sowie der Mitglieder und Kandidaten in den Partei- und Massenorganisationen in den Einheiten. Bis zur Auflösung der Grenzkommandanturen im Oktober 1956 hatten die Grundorganisationen der SED nur bis zu dieser Ebene Zugang.

Die o.g. politischen Grundsätze bilden von nun an die Eckpfeiler der politisch-ideologischen Arbeit im gesamten Entwicklungsabschnitt der DGP. Sie musste - wie in der V. Delegiertenkonferenz im Juni 1960 wiederholt unterstrichen - der Ausgangspunkt sein, um bei allen Grenzpolizisten Liebe und Ergebenheit zum Arbeiter-und-Bauern-Staat und Hass gegenüber dem BRD-Imperialismus und seinen im westdeutschen Grenzgebiet handelnden Organen hervorrufen. Im Frühjahr 1957 werden erstmals Grundorganisationen in den Grenzkommandos und ab August sogar in den Grenzkompanien gebildet. Ausgehend vom o.g. Beschluss des Politbüros legen die Parteiinstruktion der DGP hiernach fest: "…Die Parteiorganisationen haben das Recht…, die Ergebnisse der Erziehung und Ausbildung, den Zustand der Einsatzbereitschaft, die dienstliche und gesellschaftliche Tätigkeit aller Grenzpolizeiangehörigen sowie die Ergebnisse der durchgeführten Befehle kritisch zu beurteilen und Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit zu machen. Der Grundsatz der bedingungslosen Ausführung der Befehle wird damit in keiner Weise herabgemindert…“. Weiter heißt es, dass die Grundorganisation bei Nichtbeachten ihrer Hinweise und Vorschläge: „… das Recht und die Pflicht…“ haben, „…sich an alle übergeordnete Polit- und Parteiorgane bis zum Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu wenden…“. Die sich hierin widerspiegelnde Einheit von staatlicher und gesellschaftlicher Ebene bei der Durchsetzung der ideologischen Arbeit der Partei trifft prinzipiell auf alle Bereiche der sozialistischen Gesellschaft zu.